Hier sollen Sie den Prüfablauf nach Warnke bei der Vermutung einer zentralen Automatisierungsstörung im Hören, Sehen und in der Motorik als Ursache von Lernproblemen so weit kennen lernen, dass Sie eine Basis für Ihre Entscheidung erhalten, ob Sie sich mit der Frage der Diagnose und des Trainings bei zentralen Störungen dieser Art befassen und zu diesem Zweck vielleicht auch eines der zweitägigen Seminare von Fred Warnke besuchen möchten. Beginnen wir also, indem wir gemeinsam die nachstehende Liste betrachten, auf der sich acht wichtige und relativ rasch feststellbare Auffälligkeiten bei zentralen Automatisierungsstörungen finden:
3.1 Visual Order Threshold = Visuelle Ordnungsschwelle = Brain-Boy-visuell
3.2 Auditory Order Threshold = Auditive Ordnungsschwelle = Brain-Boy-auditiv
3.3 Spatial Hearing = Richtungshören = RiHö-Boy
3.4 Pitch Discrimination = Tonhöhenunterscheidung = Sound-Boy
3.5 Synchronized Finger-Tapping = auditiv-motorische Koordination = Sync-Boy
3.6 Choice-Reaction-Time = Wahl-Reaktions-Zeit = Blitz-Boy
3.7a Frequency-Pattern-Test = Tonhöhenmustertest
3.7b Duration-Pattern-Test = Tondauermustertest = Lang-Boy
Da es wichtig ist, dass Sie von allen acht Auffälligkeiten einen persönlichen Eindruck erhalten, möchten wir Ihnen straff und doch anschaulich die nachstehenden Low-Level-Fähigkeiten so weit verdeutlichen, dass Sie ein gutes Gespür dafür entwickeln können, ob Sie sich zu dieser Erweiterung Ihrer Kompetenz auf einem bisher für Sie wahrscheinlich eher fremden Gebiet entschließen wollen:
3.1 Visual Order Threshold =
Visuelle Ordnungsschwelle = Brain-Boy-visuell
Die visuelle Ordnungsschwelle ist wichtig für die Zeitauflösung kontinuierlicher
Seheindrücke. Die visuelle Ordnungsschwelle wurde durch Ernst Pöppel[i]
in seinem Buch „Grenzen des Bewusstseins“ definiert als diejenige Zeitspanne,
die zwischen zwei Sinnesreizen mindestens verstreichen muss, damit diese
getrennt wahrgenommen und in eine Reihenfolge gebracht werden können. Sie
bestimmt somit die Segmentierung des visuellen Inputs. Gemessen wird sie mittels
zweier Lichtblitze von links und von rechts, deren Reihenfolge zufallsgesteuert
und vom Probanden zu bestimmen ist. Begonnen wird mit großen Zeitabständen. Nach
einem vorgegebenen Algorithmus wird dieser zeitliche Abstand nach jeder
zutreffenden Antwort verkürzt und nach jeder unzutreffenden Antwort verlängert,
bis die visuelle Ordnungsschwelle des Probanden erreicht ist und mit den
vorliegenden Normwerten verglichen werden kann.
3.2 Auditory Order Threshold =
Auditive Ordnungsschwelle = Brain-Boy-auditiv
Die auditive Ordnungsschwelle ist wichtig für die Zeitauflösung kontinuierlicher
Höreindrücke. Sie bestimmt laut Pöppel die Segmentierung des
gesamten auditiven Inputs. Gemessen wird sie sinngemäß ähnlich dem Sehen: Hier
hört der Proband zwei Klicks im Kopfhörer von links und von rechts und soll auch
dabei deren Reihenfolge benennen. Nach demselben Algorithmus wie im Sehen wird
dieser zeitliche Abstand nach jeder zutreffenden Antwort verkürzt und nach jeder
unzutreffenden Antwort verlängert, bis die auditive Ordnungsschwelle des
Probanden erreicht ist und mit den vorliegenden Normwerten verglichen werden
kann.
3.3 Spatial Hearing
=
Richtungshören = RiHö-Boy
Das Richtungshören ist eine wichtige Komponente für den Cocktail-Party-Effekt, also für
das Filtern des Nutzschalles aus Nebengeräuschen. Jens Blauert[ii]
hat sich mit diesem Themenkreis gründlich befasst. Typische Geräuschpegel in
deutschen Schulklassen liegen zwischen 50 und 60 dB(A); das ergaben von der
Universität Oldenburg veröffentlichte Messungen[iii]
von C. Sust und A. Lazarus. Die Lehrerstimme erreicht das Ohr des Kindes gerade
mit 65 dB(A). Für das
„Heraushören“ des Nutzschalls aus räumlich verteiltem Störschall ist also
auch ein gutes Richtungshören unabdingbar. Zum Prüfen seines Richtungshörens
werden dem Probanden Klicks aus verschiedenen Richtungen über Kopfhörer
zugespielt. Der Proband wird nach einem ähnlichen Algorithmus wie oben an seine
Grenze geführt. Dieser Bestwert wird mit den vorliegenden Normwerten verglichen.
3.4 Pitch
Discrimination =
Tonhöhenunterscheidung =
Sound-Boy
Die Tonhöhenunterscheidung ist wichtig für das Erkennen von Vokalen und Sprechmelodie. Holopainen et al. haben
mittels Mismatch Negativity (MMN) den Nachweis[iv]
erbracht, dass diese Fähigkeit schon bei Vorschulkindern eng mit deren
sprachlicher Kompetenz verknüpft ist. Die Fähigkeit, Töne verschiedener Frequenz
rasch und treffsicher zu unterscheiden, benötigt der hörende Mensch für die
Vokalerkennung und die Dekodierung der Sprechmelodie, die neben Sprechtempo,
-rhythmus und -lautstärke wohl die wichtigste Komponente der
Prosodie darstellt: Zum Testen hört der Proband zwei kurze Töne,
deren Intervall sich erfolgsabhängig verändert. Er wird nach einem ähnlichen
Algorithmus wie oben an seine Grenze geführt. Dieser Bestwert wird mit den
vorliegenden Normwerten verglichen.
3.5 Synchronized
Finger-Tapping =
auditiv-motorische
Koordination = Sync-Boy
Die auditiv-motorische Koordination ist wichtig für die Koordination zwischen den Hirnhälften. Hier werden Erkenntnisse[v]
eines Teams um Peter H. Wolff von der Universität Harvard umgesetzt, der bei
LRS-Schülern deutliche Rückstände beim rhythmischen Umsetzen von
Rechts-Links-Klicks in Fingertapping festgestellt hat: Der Proband hört
ein solches andauerndes Klickmuster und soll im Takt dazu abwechselnd zwei
Tasten betätigen. Bei jedem Treffer verkürzt sich der Abstand der Klicks ganz
geringfügig. Nach achtzig Sekunden wird der erreichte Bestwert ausgegeben und
mit den vorliegenden Normwerten verglichen.
3.6 Choice-Reaction-Time =
Wahl-Reaktions-Zeit =
Blitz-Boy
Die Wahl-Reaktions-Zeit ist wichtig für die rasche Entscheidung zwischen Hör-Alternativen.
Angeknüpft wird
hier an umfängliche Untersuchungen von R. Nicolson[vi]
und A. Fawcett, die zwischen LRS-Kindern und Kontrollkindern bei
Wahl-Reaktionsaufgaben im Hören und im Sehen ein erhebliches Gefälle feststellen
mussten: Der Proband hört von links und von rechts je einen Ton. Das
Intervall ist mit fast einer Oktave so groß, dass es sich nicht um eine Variante
der Tonhöhenunterscheidung handelt. Vielmehr soll der Proband hier möglichst
rasch die Taste auf der Seite mit dem tieferen Ton betätigen. Gemessen wird
seine durchschnittliche Reaktionszeit bei vierzig aufeinander folgenden
Tonpärchen. Der erreichte Wert wird ausgegeben und mit den vorliegenden
Normwerten verglichen.
3.7a
Frequency-Pattern-Test =
Tonhöhenmustertest =
Trio-Boy
Das Tonhöhenmuster ist wichtig für die Entschlüsselung von Wortsegmenten und Einzellauten. Der amerikanische
Neurowissenschaftler Frank E. Musiek[vii]
hat in längeren Versuchsreihen bewiesen,
dass die Tonhöhen- sowie die Tondauermustererkennung in engem Zusammenhang mit
der sprachlichen Kompetenz steht. Der Ablauf des Tests wird in der Erläuterung
des nachfolgenden Duration-Pattern-Tests näher beschrieben.
3.7b
Duration-Pattern-Test = Tondauermuster = Lang-Boy
Das Tondauermuster ist wichtig für das präzise Erfassen strukturierter Höreindrücke. Hier ist
-wie beim Tonhöhenmuster - Frank E. Musiek der Ideengeber[vii].
Er hat mit seinem „Frequency-Pattern-Test“ und dem „Duration-Pattern-Test“
ebenfalls deutliche Unterschiede zwischen LRS-Kindern und Kontrollkindern
ermittelt: Der Proband hört eine Folge von drei Tönen. Davon sind zwei
identisch, einer weicht ab, und zwar beim Frequency-Pattern-Test in der Tonhöhe,
beim Duration-Pattern-Test in der Tondauer. Das ergibt die nebenstehenden
sechs Möglichkeiten. Der Proband soll angeben, an welcher Stelle – vorn,
mittig, hinten – er den abweichenden Ton gehört hat. Die Dauer der Töne und
Pausen verändert sich erfolgsabhängig. Der Proband wird nach einem ähnlichen
Algorithmus wie oben an seine Grenze geführt. Dieser Bestwert wird mit den
vorliegenden Normwerten verglichen.
In mehreren Dissertationen an der Medizinischen Hochschule Hannover unter U. Tewes wurden für diese Low-Level-Funktionen zunächst die oben mehrfach erwähnten Normwerte an 382 Kindern im Altern von 5 bis 12 Jahren ermittelt. Sie zeigen einen eindeutigen Altersverlauf zu schnelleren Werten bei ungestörter Entwicklung. U. Tewes[viii] hat danach an 28 LRS-Drittklässlern im Vergleich zu 28 genau parallelisierten Kontrollkindern aus der Normstudie hochsignifikante Abweichungen bei sechs aus diesen Low-Level-Funktionen nachgewiesen.
Als nächsten Schritt hat S. Michalski[ix] in einer Studie mit 51 auffälligen Kindern die Trainierbarkeit dieser Low-Level-Defizite innerhalb von nur fünf Wochen mit insgesamt 25 Trainingseinheiten festgestellt. U. Tewes[x] hat schließlich den Transfer eines erfolgreichen Low-Level-Trainings bis zur Rechtschreibebene empirisch nachgewiesen. In dieser Arbeit, die auf einer kontrollierten Studie an drei Grundschulen im Bundesland Thüringen basiert, werden die erfreulichen Auswirkungen des Trainings dieser Low-Level-Funktionen auf die Rechtschreibleistungen von Drittklässlern aufgezeigt
:Je 14 LRS-Schüler nahmen an der Studie teil. Die Kontrollgruppe A erhielt den bestmöglichen lerntheoretisch fundierten Förderunterricht. Die Trainingsgruppe B durchlief nur das „Low-Level-Training“ mit dem Brain-Boy-Universal. Gruppe C benutzte zusätzlich zum Brain-Boy Universal auch das synchrone „Lateraltraining“ nach Warnke. Dabei hört das Kind eine Modellstimme im Kopfhörer und liest zeitgleich über das Mikrofon. Die Ergebnisse auf der Rechtschreib-Ebene:
Gruppe A verbesserte sich mit dem herkömmlichen Unterricht nur um 6,3%; Gruppe B allein mit dem Low-Level-Training um 18,9%; die Gruppe C mit dem zusätzlichen Lateraltraining gar um 42,6 %. Diese in nur vier Trainingsmonaten erreichten Verbesserungen stehen somit in erfreulichem Gegensatz zu den herkömmlichen lerntheoretisch begründeten Fördermethoden: Erst unlängst haben Prof. Remschmidt und Dr. Schulte-Körne im Deutschen Ärzteblatt 7/2003 betont, dass diese Verfahren erst in zwei Jahren nennenswerte Verbesserungen erwarten lassen.
Damit ist erstmals der empirische Nachweis erbracht, dass dieses Training die Leistungen in der zentralen Verarbeitung verbessert und zudem einen bedeutsamen Transfer auf die Rechtschreibleistungen bewirkt. Es wurde bisher in vielen tausend Einzelfällen durch Familien, Therapeuten und Pädagogen erfolgreich erprobt. Die vorliegende Studie dürfte diesem ungewöhnlichen Konzept zum Durchbruch auch im schulischen Förderunterricht und in der Legasthenie-Prophylaxe verhelfen.
Fassen wir hier zunächst zusammen: Sie haben in verschiedene Methoden hineingeschnuppert, die zusammengenommen eine recht zuverlässige Aussage über eine zentrale Automatisierungsstörung als mögliche Teilursache von Sprachauffälligkeiten erlauben. Aber was unternehmen Eltern eines Kindes, bei dem solcherart zentrale Automatisierungsstörungen festgestellt wurden? Als eine mögliche und bisher in vielen tausend Fällen erprobte Methode sollen Sie deshalb nun das Trainingsverfahren kennen lernen, das basale Automatisierungsprobleme im Hören, im Sehen und in der Motorik ebenso grundlegend anpackt: